„Zustände auf dem Wohnungsmarkt sind nicht länger hinnehmbar“

admin

17.04.2019 \|
Das Recht auf Wohnen ist ein Menschenrecht. Dieses Menschrecht in
Darmstadt zu genießen, hängt jedoch zunehmend vom Geldbeutel ab. „Unsere
Zukunftsstadt ist ein teures Pflaster, das Leuten mit kleinen und
mittleren Einkommen immer weniger Zukunft bietet“, kritisiert
SPD-Fraktionschef Michael Siebel. „Das wollen und müssen wir ändern.“
Deshalb präsentierte er heute, gemeinsam mit dem baupolitischen
Sprecher, Oliver Lott, das Konzept seiner Fraktion „Wohnen für alle“.
Der Fokus liegt hierbei auf der bauverein AG. Zentrales Instrument: eine
Mietpreisdeckelung.

Die Ende Februar erschienene, unabhängige Mietspiegel-Auswertung belegt
es: Darmstadt ist deutschlandweit unter den TOP 10 der Orte mit den
höchsten Mieten. In Hessen ist die Wissenschaftsstadt sogar
unangefochtener Spitzenreiter. In keiner anderen Stadt des Landes sind
die Mieten noch höher als hier. „Unsere Zustände auf dem Wohnungsmarkt
sind nicht länger hinnehmbar“, sagte Lott. „Bei uns herrscht
Wohnungsnot. Die Lage auf dem freien Wohnungsmarkt ist angespannt. Immer
mehr Menschen können sich Wohnen in Darmstadt immer weniger.“

Heiße Luft bleiben für die SPD-Fraktion nach wie vor die 10.000 neuen
Wohnungen, die der OB Ende 2015 vollmundig für 2020 angekündigt hat. „In
gut acht Monaten ist es soweit. Dann wird gezählt und dann wird sich
zeigen, was von den Versprechen des OB zu halten ist“, meinte Siebel.
Wenn weiterhin Wohnungen fehlen, werden auch die Mieten weiterhin auf
Rekordniveau bleiben“, prognostizierte er.

Dem wird die SPD-Fraktion nicht tatenlos zusehen. „Wir haben als
öffentliche Hand die Verantwortung, dort, wo wir Einfluss nehmen können,
dies auch zu tun“, betonte Siebel. „Und wenn unsere Stadtregierung mit
dem Wohnungsbau hinterher hinkt – aus welchen Gründen auch immer – dann
müssen wir andere Instrumente einsetzen, um die Mietpreis-Explosion
einzudämmen“, ergänzte Lott. Er setzt hierfür auf eine
Mietpreisdeckelung bei der bauverein AG. Wie er erläuterte, hat der
Gesetzgeber den Kommunen dieses Werkzeug für öffentliche
Wohnungsbau-Gesellschaften an die Hand gegeben. „Darum sollten wir es
auch einsetzen“, verlangte der baupolitische Sprecher. Er hat deshalb
einen Antrag eingereicht, in dem er eine Deckelung der
Mietpreiserhöhungen bei frei vermieteten Wohnungen der bauverein AG in
Höhe von einem Prozent fordert.

Sozialromantische Träumerei der Roten? Mitnichten. Im Landtag haben CDU
und Grüne ebenfalls die rechtlichen Möglichkeiten ausgenutzt und die
Mieten bei der Nassauischen Heimstätte eingefroren. Das Bemerkenswerte
daran: Bei der Nassauischen liegt die Durchschnittsmiete mit 5,71 Euro
pro Quadratmeter deutlich unter der des Bauvereins, die 6,33 Euro
beträgt. Wenn also Grüne und CDU im Landtag das Instrument
Mietpreisdeckelung anwenden, dann könnten es doch auch Grüne und CDU in
Darmstadt anpacken, so Lotts Annahme. „Als Kommunalpolitiker steht man
doch nicht völlig konträr zu dem, was die Kollegen der eigenen Partei im
Landtag machen“, meinte er, „sonst wäre man ja in der falschen Partei.“
Lott hofft deshalb darauf, dass sein Antrag bei der
Stadtverordnetenversammlung im Mai eine breite Mehrheit findet.
Profitieren würden hiervon nicht nur die Mieter der bauverein AG. Die
Auswirkungen reichen viel weiter, sind sich Siebel und Lott sicher. „Die
gedeckelten Mieten fließen in den Mietspiegel mit ein und der wirkt auf
die Mietpreisgestaltung. Es profitieren also alle davon und darum geht
es schließlich: Wohnen für alle.“

Ein forcierter Erwerb von Belegungsrechten ist – neben den Maßnahmen
beim Bauverein – ein weiteres Instrument, mit dem die SPD-Fraktion in
ihrem Konzept „Wohnen für alle“ den aufgeheizten Darmstädter
Wohnungsmarkt abkühlen will.

In den Jahren 2016 bis 2018 sind insgesamt 1032 Wohnungen aus der
Sozialbindung gefallen. Dem stehen aber nur 151 zurück gekaufte
Bindungen gegenüber. Dies teilte der Magistrat Fraktionschef Michael
Siebel in der Beantwortung einer kleinen Anfrage mit. „Wie kann man vor
diesem Hintergrund behaupten, weiteres Geld für den Erwerb von
Belegungsrechten sei überflüssig?“, wunderte sich Siebel über die
Aussage der grün-schwarzen Stadtregierung im Rahmen der vergangenen
Haushaltsdebatten. Die Sozialdemokraten hatten mehr Geld für den
sozialen Wohnungsbau, insbesondere für den Rückkauf von Sozialbindungen
gefordert. Damit nicht bloß Besserverdiener eine Zukunft in Darmstadt
haben, sollten unter anderem die Mittel für den Erwerb von
Belegungsrechten um 500.000 Euro auf 800.000 Euro aufgestockt werden.
Doch die grün-schwarze Mehrheit im Stadtparlament schmetterte den
SPD-Vorstoß für bezahlbares Wohnen ab. Grund: Angeblich würden die
bereitstehenden Gelder für Belegungsrechte gar nicht abgerufen.

Damit müsse jetzt Schluss sein. Die Stadtregierung sei verpflichtet,
alle Menschen im Blick zu haben, ungeachtet ihrer finanziellen
Verhältnisse. „Eine Wohnungspolitik, die Gering- und Normalverdiener,
Alleinerziehende, junge Familien und Rentner hinausdrängt, ist unsozial
und wird von uns nicht mitgetragen“, erklärte der
SPD-Fraktionsvorsitzende. „Hier müssen wir eine Kehrtwende machen.
Deshalb gilt es, endlich die städtischen Gestaltungsmöglichkeiten zur
Schaffung von bezahlbaren Wohnungen zu nutzen, entschieden, konsequent
und umfassend. Hierfür macht sich die SPD-Fraktion stark: Wohnen für
alle.“

Weiterer Baustein dieses Konzepts ist ein Schutz vor happigen
Mieterhöhungen einführen: Die SPD-Fraktion will verhindern, dass
Darmstädterinnen und Darmstädter aus ihren angestammten Quartieren
verdrängt werden, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können. Im
Rahmen ihres Konzepts „Wohnen für alle“ verlangt sie deshalb, dass die
Stadt eine Milieuschutzsatzung erlässt. Spekulanten, die mit
Luxussanierungen das schnelle Geld machen wollen, können damit nämlich
ausgebremst werden.

Wenn Mieten explodieren, reagieren viele Politiker mit Schulterzucken.
Dabei gibt es durchaus ein Mittel dagegen. So erlaubt das Baugesetzbuch,
dass Kommunen durch eine Satzung Gebiete ausweisen, sogenannte
Milieuschutz-Zonen, in denen sie etwa die soziale Zusammensetzung der
Anwohner erhalten oder die städtebauliche Eigenart bewahren wollen. Was
heißt das konkret?

Der baupolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Oliver Lott, hat sich mit
dem Instrument der Milieuschutzsatzung auseinandergesetzt. Wie er
erläuterte, hat das für Eigentümer und Investoren drei Konsequenzen:
Erstens müssen sie große Modernisierungen von der Stadtverwaltung
genehmigen lassen. „An diesem Punkt können und müssen wir verhindern,
dass Spekulanten mit Luxussanierungen die Mieten nach oben treiben“,
sagte Lott. Die zweite Konsequenz: die Stadt kann verbieten, Miet- in
Eigentumswohnungen oder Büroräume zu verwandeln. Drittens hat die Stadt
in Milieuschutz-Gebieten ein Vorkaufsrecht: Stehen Gebäude zum Verkauf,
kann die Stadt sie erwerben und einem städtischen Unternehmen
übertragen, das dauerhaft bezahlbare Mieten anbietet. „Wer das Gebäude
kaufen möchte, kann den Kauf durch die Stadt nur verhindern, indem er
eine sogenannte Abwendungserklärung unterschreibt“, führte Lott aus. Mit
dieser Erklärung verpflichtet sich der neue Eigentümer, die Wohnungen
weiterhin zur Miete anzubieten und keine Luxussanierungen vorzunehmen.

Ein solcher Mieterschutz per Milieuschutzsatzung wird in Frankfurt
bereits erfolgreich praktiziert, ebenso in Berlin, Hamburg und München,
wie Siebel ausführte. „Es wird Zeit, dass wir dieses Instrument in
Darmstadt ebenfalls einsetzen“, forderte er. „Wohnen in Darmstadt darf
kein Luxus werden.“ Doch leider führe der Weg, den die grün-schwarz
regierte Stadt eingeschlagen habe, genau dort hin.

Wohnen in Darmstadt sei für immer weniger Menschen Lust, dafür aber für
immer mehr Menschen Last. „Es wird zunehmend eine Belastung für immer
weitere Bevölkerungsgruppen. Betroffen sind längst nicht mehr allein die
Geringverdiener, sondern mittlerweile auch Bürgerinnen und Bürger mit
Durchschnittseinkommen“, kritisierte Siebel. Die ohnehin vergleichsweise
hohen Mieten in Darmstadt stiegen weiter an. Das führe unweigerlich
dazu, dass ein immer größerer Anteil vom Gehalt für Wohnen aufgewendet
werden müsse. „Wenn dieser Trend so weiter geht, wird es zu einer
Verdrängung von ganzen Bevölkerungsgruppen aus ihren angestammten
Wohnvierteln kommen“, prophezeite der SPD-Fraktionsvorsitzende. „Das
hätte nachhaltige soziale und städtebauliche Missstände zur Folge,
Probleme, die auf Kosten der Allgemeinheit aufgefangen werden müssten.“

Siebel und Lott forderten deshalb, dem drohenden Strukturwandel einen
Riegel vorzuschieben und die Darmstädterinnen und Darmstädter mit
Milieuschutzsatzungen vor Spekulanten und Mietpreisexplosionen zu
schützen, „damit sie auch morgen noch in ihren Quartieren leben können,
denn das ist Heimat und Wohnen ist ein Menschenrecht für Alle, kein
Luxus.“