SPD fordert Konzept und Neu-Organisation fürs Nachtleben während Corona

Christina Fischer

Open-Air Kneipenabende, Feierbeauftragte, Nachtkapitän*innen, neues Angebot in der Innenstadt – 

In Frankfurt und Stuttgart kam es kürzlich zu kriminellen Gewaltausbrüchen, in Darmstadt nimmt die Vermüllung des öffentlichen Raums zu. Die SPD sieht darin ein Symptom für das eingeschränkte Nachtleben und die Ansammlung von Wut und Frust bei jungen Menschen. Gemeinsam mit Expert*innen der Sicherheitsbehörden, der Clubszene und der Jugendhilfe soll daher nach Ansicht der SPD ein Konzept entwickelt werden, das Feiern und Ausgehen während Corona unter Einhaltung von Abstandsregeln ermöglicht und organisiert. Dafür schlägt die SPD Kneipenabende unter freiem Himmel, eine*n Feierbeauftragte*n und die Ernennung von Nachtkapitän*innen vor.  

„Vorweg: Natürlich müssen Gewalttäter*innen auch in Zeiten von Corona bestraft werden und Abstandsregeln gelten für alle, zu jeder Uhrzeit“, sagt der SPD-Vorsitzender Tim Huß. „Starke Worte dürfen aber nicht davon ablenken, dass gerade junge Menschen ein legitimes Interesse daran haben, sich auszuleben und es ohnehin tun werden. Ein Problem dabei ist, dass derzeit Menschen eher dicht gedrängt an wenigen kleinen Orten in Darmstadt stehen, statt sich in der Fläche zu verteilen. Damit das neue Nachtleben während Corona friedlich, geordnet und mit Abstand gelebt werden kann, brauchen Städte neue Konzepte. Wir wollen das Thema in Darmstadt anpacken und das Nachtleben neu organisieren – denn der Winter wird das Problem noch verschärfen.“ 

Ein Baustein dafür kann die Ermöglichung von Kneipenabenden auf größeren Flächen sein. „Sowohl im öffentlichen Raum als auch mit Einschränkungen in geschlossenen Räumen hat uns Corona gelehrt, dass größere Menschenmengen sich organisieren lassen, wenn man will und kontrolliert“, sagt der SPD-Stadtverordnete Oliver Lott. „Wir schlagen daher Kneipenabende unter freiem Himmel vor. Abstandhalten gelingt mit der Einteilung in kleine Räume durch Bodenmarkierungen oder Straßenkreide, in denen sich kleine Gruppen aufhalten können, und mit freizuhaltenden Verbindungswegen. Der Zugang wird kontrolliert. Und es braucht ein angemessenes gastronomisches Angebot.“

Neben dem gastronomischen Angebot solle zudem der Konsum selbst mitgebrachter Getränke ermöglicht werden, sodass niemand aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage ausgeschlossen werde. Außerdem erhofft sich die SPD davon, Menschen mit einem Angebot anzusprechen, die derzeit mit dem Erzeugen von Lärm und dem Hinterlassen von Müll Ärger in Wohngebieten auf sich ziehen.

Das Projekt Tutti am Georg-Büchner-Platz hätte ein solcher Ort sein können, wenn nicht die Intervention des Architekten höher gewichtet worden wäre als die Bedürfnisse junger Menschen. Die SPD hat die Stadt bereits gebeten, einen neuen Standort zu prüfen. In der Innenstadt könnten weitere Plätze , wo es weniger Anwohner*innen-Konflikte gibt, genutzt werden, etwa der Friedensplatz und der Karolinenplatz. „Vielleicht wäre das auch eine Möglichkeit, den Darmstädter City Sommer nochmal zu beleben“, sagt Lott. Mit Blick auf den Winter sollten auch große Indoor-Flächen wie das Darmstadtium, die Centralstation oder die Eissporthalle genutzt werden, falls kommerzielle Großveranstaltungen nicht möglich sind.  „Gleiches gilt für die Stadtteile, ich denke da an den Löwen in Arheilgen oder den Ernst-Ludwig-Saal in Eberstadt.“ 

Die Schließung von Clubs und die Reglementierung der Gastronomie erfordern aus Sicht der SPD ein Neudenken bei der Gestaltung des Nachtlebens. Die Sozialdemokraten schlagen  daher auch die Einführung einer/eines Feierbeauftragten vor. Diese*r soll zwischen Clubs, der Gastronomie, der Polizei und betroffenen Anwohner*innen vermitteln und Nachtangebote koordinieren.

„Wir wollen Konflikte frühzeitig lösen“, sagt Huß. „Ziel ist es, zwischen den Clubbetreiber*innen, der Polizei und den Anwohner*innen zu vermitteln und gleichzeitig das Nachtleben in der Stadt zu beleben. Das braucht einen organisierten Interessenausgleich.“ In Amsterdam sind durch dieses Konzept schon vor Corona Schlägereien, Wildpinkeln und Lärm zurückgegangen, wie Huß ausführt. 

04.08.2020 | Als  weitere Präventionsmaßnahme fordert er zudem die Ernennung von Nachtkapitän*innen. Bei diesem Konzept ernennt die Polizei innerhalb einer größeren Gruppe eine Person, welche die Gruppe unter Kontrolle halten soll und die im Fall von Verstößen befragt wird. „Die allermeisten Menschen, die nachts unterwegs sind, verhalten sich rücksichtsvoll und nehmen ihren Müll mit“, sagt Huß. „In bestimmten Fällen hilft es aber auch, sie aktiv aus der Anonymität in die Selbstverantwortung zu holen.“ Die schweizerische Stadt Nyon habe mit diesem Konzept während Corona sehr gute Erfahrungen gemacht. 

„Wir erkennen mit unseren Ideen die Darmstädter Club- und Gastronomieszene auch als Teil unserer Kulturszene an – und als wichtigen Wirtschaftsfaktor“, sagt Lott. „Corona hat das Nachtleben stark geändert. Die Politik muss es nun im Sinne von Freizeitgestaltung, Gewaltprävention und Abstandswahrung neu regulieren.“

Langfristig und über den Horizont von Corona hinaus, erhofft sich die SPD als Nebeneffekt eine Wiederbelebung der Darmstädter Innenstadt. „Wenn es uns in Zeiten von Corona mit einem guten Konzept gelingt, dass  Angebote beispielsweise auf dem Platz vor der Centralstation und auf dem Friedensplatz angenommen werden, so werden sich dort weitere Bars und Clubs niederlassen und wiederum weitere Menschen anziehen. Die dann entstehende Atmosphäre lockt dann hoffentlich viele Feiernde aus den peripheren Parks, wie zum Beispiel der Orangerie, an. Das wäre für die Sozialdemokraten die lang gewünschte Entlastung für die dortigen Anwohner*innen.